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ALT-OB ÜBER GÖTZ GEORGE

Josef Krings war 22 Jahre – von 1975 bis 97 – Oberbürgermeister (OB) der Stadt Duisburg. Geschichten aus dieser Zeit hat er in seinem Buch „Begegnungen“ aufgeschrieben. „150 Tage Arbeitskampf“ heißt das erste Buchkapitel. Die Auseinandersetzungen um Krupp Rheinhausen im Winter 87/88 hatten „Jupp“ Krings, der Seite an Seite mit den Stahlarbeitern für den linksrheinischen Stadtteil kämpfte, zum wohl beliebtesten Oberbürgermeister des Ruhrgebiets gemacht.
Ein seinem Buch schreibt der Sozialdemokrat über Begegnungen mit Menschen, ein Kapitel heißt „Götz George“:

„Scheiße“, ruft Horst Schimanski, wie so oft in seinen Tatort-Filmen. Dann fliegt er über den Rhein in den stahlblauen Himmel. Er lacht und freut sich, nicht mehr als Kriminalkommissar im Dienst der Duisburger Polizei nach Mördern suchen zu müssen. Noch einmal ruft er lachend: „Scheiße“. Damit endet der Film und für eine lange Zeit sendet der WDR keinen Schimanski-Tatort mehr.

Ich überlege, mit welchem Fluggerät Götz George damals davonflog. Er segelte wie Ikarus mit zwei Flügeln der Sonne entgegen. Doch ich merke, dass ich einem typischen Schimanskisyndrom erliege. Ich vergleiche meine Realitätserfahrung mit einer Fiktion. Götz George ist Schimanski, eine Kultfigur. Schimanski-Filme spiegeln eine Filmrealität. Doch so distanziert werden sie nicht gesehen. Schimanski ist „echt“ und das Milieu ist „echt“, also real wie Dokumentarfilme.

Wie sah die Ruhrgebietswirklichkeit in den siebziger Jahren aus? Alle Städte kämpften mit Strukturproblemen. Zechen wurden geschlossen, Textil- und Stahlindustrie gingen auf Talfahrt. Die Zahl der Arbeitslosen stieg rapide an und die Sozialausgaben explodierten. Die Bundesregierung und der Bundestag beschlossen Sozialgesetze, doch die Städte bezahlten die Kosten der Arbeitslosigkeit und ruinierten ihre Haushalte. Dagegen kämpften lautstark und unmissverständlich die Revieroberbürgermeister. Wir stritten mit Bundeskanzler Helmut Schmidt und seinen Ministern und mit der NRW-Landesregierung.

Auch unser Haussender, der WDR, ärgerte uns mit seinen Elendsreportagen, die den notwendigen Wandel drastisch erschwerten. Sollte vor Smog im Land gewarnt werden, fuhr der Ü-Wagen nach Duisburg-Beeck zur Friedrich-Ebert-Straße und filmte die dampfenden Thyssen-Hochöfen im Hintergrund und die alte Wohnbebauung im Vordergrund. Ein Schwenk von 90 Grad hätte eine idyllische Kirche und einen restaurierten alten Gutshof, den Oberhof, ins Bild gerückt. Doch die Kamera schwenkte nie. Sie zeigte Verfall und alte Industriekulisse. Welcher Investor würde hier über eine Ansiedlung nachdenken?

Über diese Problematik wollte die Runde der Ruhrgebietsoberbürgermeister im September 1982 mit dem Intendanten des WDR, Herrn von Sell, diskutieren. Mit Bedacht hatte ich für das Treffen die Regattabahn in Duisburg-Wedau ausgesucht. Sie liegt in einer grünen Parklandschaft. In vielen Sportsendungen hatte der WDR packende Bilder von Kanu- und Ruder-Weltmeisterschaften übertragen. Die Sonne ließ an diesem Tag das Wasser glitzern. Der Duisburger Leiter des Presseamtes Gerd Hoppensack, selbst ein erfahrener Journalist, hatte viele Original-WDR-Reportagen zu einer eindrucksvollen Elendsgeschichte zusammengeschnitten. In der Schlusssequenz trat auch „Horst Schimanski“ auf. Er packte einen Fernsehapparat und warf ihn zum Fenster hinaus mit der Bemerkung: „Scheiß Fernsehen“.

Das nahm der Intendant übel und das Treffen wurde ein Fiasko. Herr von Sell hatte geglaubt, wir würden mit ihm über Schimanski-Filme diskutieren. Darum nahm er wichtige Mitarbeiter der Bavaria, die die Filme produzieren, mit an die Wedau. Wir wollten aber über WDR-Reportagen sprechen, nicht über Spielfilme. Doch der Intendant sprach nicht mehr mit uns. Er ließ seine Mitarbeiter sprechen. Mir gefiel mein Namensvetter Krings, Hauptabteilungsleiter Musik. Ihm missfiel, dass ein Beitrag über Türken in Hochfeld mit Schuberts Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“ unterlegt war. Wenigstens er hatte uns verstanden.

In der abschließenden Pressekonferenz wehrten wir uns erneut gegen das gängige Klischee von Ruhrgebietsmenschen, die mit Steinstaub in der Lunge, mit Ruß in den Augen und mit Blei in den Zähnen über öde Industriebrachen stapften. Statt eines Kopfes trugen sie einen Fußball mit den Insignien von Schalke 04 auf den Schultern.

Später reagierte ich gelassener. Ich verstand den Kameramann, der auf die Hochöfen zufährt und von der brutalen Ästhetik fasziniert wird, vor allem dann, wenn er sie nicht täglich erlebt.

Doch Gelassenheit herrscht nicht überall. Wer in Duisburg eine langweilige Gesellschaft in Stimmung bringen will, der muss nur das Thema Schimanski einspielen. Sofort bilden sich zwei Gruppen, die leidenschaftlich darüber streiten, ob er das Image Duisburgs zerstört oder ob er eine Werbung für Duisburg sei. Warum zeigt er nie die schönen Seiten Duisburgs, fragt die skeptische Gruppe, also die Seenplatten, die Villen auf dem Kaiserberg, die Universität? Warum zeigen diese Filme nur die schmutzig-grauen Winkel der Stadt?

Die Schimanski-Fan-Gemeinde hält dagegen: Wenn nur „feine Gegend“ gezeigt werden soll, dann könnte der Tatort gleich in Düsseldorf gedreht werden. Hafenatmosphäre gibt es in Duisburg. Der Hafen ist unverwechselbar. Die verruchtesten Hafenkneipen baut die Bavaria in den eigenen Ateliers in München nach Duisburger Motiven.

Selbst der Kulturausschuss der Stadt diskutierte über Schimanski. Die CDU beantragte, dem Sender zu untersagen, den Dank an die Stadt für ihre Mitarbeit in den Abspann aufzunehmen. SPD und Bündnisgrüne stimmten geschlossen dagegen mit dem Hinweis auf die Weltoffenheit der Stadt. Sicher auch in der berechtigten Sorge, sich bundesweit zu blamieren. Das veranlasste den Juso-Vertreter* meines Ortsvereins zu der spöttischen Bemerkung, wir hätten den Antrag nur abgelehnt, weil wir immer CDU-Anträge ablehnen. Auch das ist ein Klischee, über das wir beide lachten.

Amüsiert erinnere ich mich an den Besuch eines Bavariamitarbeiters im Rathaus. Er verzweifelte, weil die Zeche Walsum keine Dreherlaubnis für einen Tatort-Film erteilte. Das Drehbuch sah vor, dass der Betriebsratsvorsitzende eine Streikkasse klaut, in den Förderkorb springt und die Kasse auf der 7. Sohle verstecken will. Ein wunderliches Drehbuch. Das Filmmärchen wurde überstrapaziert.

Ich riet dem Bavaria-Mitarbeiter, mit dem Chef der Kupferhütte zu sprechen und sich das Gelände einmal anzusehen. Dort türmten sich riesige Abraumhalden. Eine typische Schimanski-Kulisse. Die Bavaria und die Kupferhütte wurden handelseinig. Die Geschichte mit der geklauten Kasse verschwand im Papierkorb und „Schimmi“ konnte von hier aus über den Rhein fliegen. Ich wusste, unter ihm lag die Duisburger Kupferhütte.

Mit zeitlichem Abstand zu den Tatort-Filmen wächst die Erkenntnis, dass Götz George ein bedeutender Schauspieler mit einem breiten Spektrum ist. Ich erinnere mich, ihn sehr menschlich erlebt zu haben. Das geschah, als eine Agentur aktuelle Bilder von George und Duisburg haben wollte.

Wir fuhren zum Restaurant „Schifferbörse“, kurz vor der Mündung des Hafens in den Rhein. Ein stimmungsvoller Platz in Ruhrort mit gewaltigen Kränen, mit Schubschiffen an der Kaimauer, einem alten Raddampfer und ständig ein- und ausfahrenden Schiffen und der gewaltigen Homberger Brücke. Dort begegneten uns Besucher aus Magdeburg, die in Ruhrort zu einer Hochzeit eingeladen waren. Sie freuten sich, auf ihrem Spaziergang den auch in der DDR bekannten Schauspieler zu sehen. Davon erzählten sie sicher voller Stolz in Magdeburg, obwohl es in der DDR verboten war, das Westfernsehen einzuschalten. Doch elektronische Wellen respektieren keine Staatsgrenzen, und die Bürger sahen Westsender, und sie sahen Schimanski, soweit die Physik das zuließ.

Die Agentur wünschte Bilder aus einem Kleingarten, Ruhrgebietsidylle. Ich fuhr in meinen Wahlbezirk nach Duissern. Der Vorsitzende des Kleingartenvereins reagierte ratlos, als ich mit dem berühmten Schauspieler in seinen Garten kam. Sein Stellvertreter rettete die Situation. Er schleppte mit seinen Gartenfreunden Tische und Stühle herbei und einen Kasten Bier. Götz George taute sichtlich auf. Er sprach von den Laubenpiepern in Berlin, er erzählte von seiner Tochter, leise, fast ein wenig scheu. Nichts erinnerte an den Film-Macho. Freundlich, geduldig schrieb er auf alle Papiere, die man ihm hinreichte, seinen Namen. Das alles ergab ein wundervolles Gruppenbild. Der Fotograf fuhr sehr zufrieden zurück.

Wie es um das Image von Götz George und der Stadt Duisburg bestellt ist, erlebte ich auf einer Dienstreise in Paris. Der Hafendirektor lud die Duisburger Hafendelegation zum Abendessen ein. Am Ende des festlichen Dinners erhob er sich und sagte: „Ich trinke mit unseren Duisburger Gästen auf das Wohl der beiden berühmtesten Kriminalkommissare. Ich trinke auf das Wohl von Kommissar Maigret und auf das Wohl von Kommissar Schimanski.“ Alle lächelten, alle applaudierten. Die Franzosen mochten wohl Schimanski und die Stadt Duisburg und ihren Maigret.

* Anmerkung der Schimanski-Homepage: Hierbei handelte es sich um den Webmaster dieser Homepage.

© Mercator-Verlag


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